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Garten & Terrasse

Tiffy hat die Haare schön

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Der Pappus der Haferwurzel (vorne links) ist von vollendeter Formschönheit. Er entwickelt sich nach der schönen Blüte. An der Pflanze gibt’s oft beides gleichzeitig zu bestaunen. FOTO: EY  

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Beet-Geflüster

Die Metamorphose der Haferwurzel vom Knospenden übers Blühende zum Samenden gehört zu den erstaunlichsten Umwandlungsprozessen in unserer vielgestaltigen Flora. Es ist natürlich zweifelsohne in jedem noch so kleinen Pflänzchen ein Wunder zu entdecken, aber hier drängt es sich besonders in den Vordergrund. Und im Untergrund entsteht derweil sogar noch ein wohlschmeckendes Wurzelgemüse, das seit der Antike von Kennern hochgeschätzt wird.

Eine Nutzpflanze, die hier kaum jemand kennt

Da ist also zunächst einmal die eher unscheinbare Gestalt dieser aus dem Mittelmeerraum stammenden Einjährigen, die es als Nutzpflanze mittlerweile schon auch, aber nur sehr selten, in manchen Garten nördlich der Alpen zu größerer Beachtung geschafft hat. Wer die bis zu dreißig Zentimeter lange Wurzel im Herbst nicht ernten und essen möchte, erfreut sich allein am Wuchs des Oberirdischen – und die damit verbundenen, kontinuierlichen Veränderungen. Der unverzweigte Stängel sieht im Heranwachsen aus wie Getreide. Man fühlt sich gedrängt, dieses bisweilen ja ungewollte Grün ruckzuck zu entfernen, um anderen, schönen Blumen Platz zu schaffen, weil auf den Feldern in der Umgebung sowieso genug Gerste und Weizen wachsen. Aber wie so oft in unseren eigenen grünen Kosmen erweist sich die Geduld auch hier als ein guter Berater. Denn das, was in der Folgezeit an Größe gewinnt, legt auch an Ausdruck zu!
          

             

Im Laufe der Wochen entwickeln sich längliche, schmale Knospen, die endständig stehen. Sie erwecken den Eindruck, Kerzen sein zu wollen, und eben diese Kerzen entzünden sich gewissermaßen selbst, indem sie ab der zweiten Maihälfte zur Blüte werden. Eine Blüte, die sich öffnet, sowie die Sonne aufgeht, und die sich schließt, wenn es Abend wird. Länger als zwei Tage hält kein Köpfchen aus, aber es schießen neue nach, nicht üppig, aber doch immerhin so, dass der Betrachter einige Wochen lang mit Staunen davorsteht.

Dann kommt der erste Morgen, an dem Tiffy die Haare schön hat. Die erste Blüte ist lange fort; Achänen stehen eng und bilden einen sogenannten Pappus, den wir zum Beispiel vom Löwenzahn kennen. Hier ist er größer, so groß, dass man meinen dürfte, mit acht bis zehn solcher Flauschköpfe ein Sofakissen füllen zu können. Es ist wie ein Abbild von Tiffy aus der Sesamstraße, die vogelartige rosa Klappmaulpuppe mit frisurähnlichen Federn. Diese Haferwurzeltiffyrübe also ist eine entzückende Erscheinung, die aber nicht von langer Dauer ist, denn nach und nach trägt der Wind den Samen davon und Tiffys Kopf sieht aus wie gerupft. Aber die schwindende Schönheit hat ja ihren Sinn, weil daraus im nächsten Jahr neue entsteht. Wo auch immer; der Same wird landen an einem Platz, für den die Natur diesen Plan vorgesehen hat und wo der Lebenskreislauf der Haferwurzel abermals beginnt.

Man versteigt sich ja sehr oft zu der Behauptung, die Blüte sei Höhepunkt der Schönheit. Die Haferwurzel lehrt uns eine andere Sichtweise. Nicht die Blüte ist hier maßgeblich, sondern der Pappus, dessen Formgebung Künstler, ob Maler oder Keramiker, beflügeln müsste wie der Wind die Achänen. Und Friseure.
       

Tiffy hat die Haare schön-2

Jens F. Meyer
j.meyer@dewezet.de

Das „Beetgeflüster“ von Dewezet-Autor Jens F. Meyer gibt‘s auch als Buch. Teil 1 & 2 sind in den Geschäftsstellen von DEWEZET (Osterstraße Hameln) und Pyrmonter Nachrichten (Rathausplatz Bad Pyrmont erhältlich.