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GARTEN & GENUSS

Gärten des Grauens

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Man muss fest daran glauben, dass ein Schmetterling die Welt verändern kann - und dementsprechend handeln. FOTO: EY

In diesem Sommer brannten Wälder. Dürre auf der einen Seite, Flutkatastrophen auf der anderen. „Berge spucken Lava aus in den silberklaren Mond. Aschenregen fällt auf uns, die Erde hat Milliarden Volt. Und aus den Quellen schießt Glut so hoch bis zum Saturn“, heißt es in einem ergreifenden Rocksong („Eiszeit“). Ich glaube, dass er die Dinge, die um uns herum geschehen, anschaulich schildert.

Nie werden mich diese Zeilen kalt lassen; aber sich zu ängstigen, ist die eine Sache, etwas gegen die drohende Apokalypse zu tun, die andere. Dieser Bogen, den ich schlage und der pathetischer klingt, als er gemeint ist, beginnt nicht erst dort, wo wir auf das Auto verzichten und das Fahrrad nehmen oder die Heizung noch nicht einschalten, weil wir in der Übergangszeit von Sommer auf Herbst einfach mal eine Strickjacke überwerfen-sondern schon im Kleinen, im Mikrokosmos unserer Gärten liegt die Basis für bessere Zeiten. Ich glaube fest daran, dass jeder Schmetterling die Welt zu retten imstande ist. Das kann er aber nicht, wenn wir ihm die Pflanzen nehmen, die er braucht, um als Raupe und Falter zu überleben. Er wird sterben, aussterben. Und wir mit ihm.

Kaum noch echte Bäume und überall Versiegelung

Von Zeit zu Zeit gehe ich die Straßen in den Vierteln der Stadt entlang, um über Zäune zu schauen. Was ich erblicke, sind immer mehr Gärten des Grauens. Bäume werden offenkundig nicht mehr gerne gepflanzt, jedenfalls keine, die groß werden. Ich habe mir mehr als einmal anhören müssen, dass sie zu viel Arbeit machten, weil im Herbst das Laub zu Boden fällt. Ja, in der Tat, es ist eine Marotte jener Jahreszeit ... eine, die ich liebe, weil sie voller Anmut und Melancholie, voller Fröhlich- und Sinnlichkeit steckt.

Überall wird versiegelt. Ich sehe Grundstücke, auf denen der bebaute Bereich drei Viertel der Fläche einnimmt, manchmal mehr. Schauderhaft. Darf eigentlich gar nicht sein. Da ist mehr Gartenweg und Hof als Grünes. Ich frage mich, wie man sich dort wohlfühlen will? Ich könnte es nicht. Es ist trostlos und traurig, nur Mauern, Steine, Fugen, Schotter. Kein Regen sickert dort ein; ist er stark genug, fließt er den Erbauern in den Keller.

Ich erblicke Vorgärten, in denen Buchs als Einfassung für Kiesflächen dient, aus denen ein paar höhere Gräser sprießen. Soll wohl chic sein. Hier und dort eine Rose, ein paar Geranien auf dem Treppenabsatz am Eingang - nichts für Bienen, nichts für Hummeln, nichts für Schmetterlinge, aber alles für die Katz'. 

Das alles missfällt mir sehr. Wie wollen wir in Zukunft leben und welche Berechtigung hat unsere Kritik am Abholzen der Regenwälder im fernen Brasilien, wenn so viele Menschen nicht bereit sind, die Kehrtwende auch bei sich selbst zu ermöglichen? Wir werden gegenwärtig und in Zukunft damit leben müssen, Eigeninitiative für die Natur zu entwickeln, was letztlich bedeutet: Initiative für unser Gemeinwohl. Und ich scheue nicht davor zurück, denjenigen, die in den Ämtern unserer Rathäuser und Verwaltungen sitzen, einen neuen Ansatz darzulegen: den Bauherren aufzuerlegen, einen Baum zu pflanzen! Kein Quasi-Gehölz in Schulterhöhe, sondern einen, der richtig groß wird, eine Krone bildet, Sauerstoff spendet und Tausenden Kleinstlebewesen eine Heimat ist. Das wäre sinnvoller, als Dachfarben und Zaunarten vorzuschreiben oder die Ordnungsbehörde loszuschicken, weil irgendwo ein Kräutlein vorwitzig außerhalb einer Grundstücksgrenze wächst.

Denn bei aller Dramatik, die wir mit dem Klimawandel und den damit verbundenen Umweltkatastrophen erleben, sollte nach wie vor das Luther'sche Credo gelten, noch heute einen Apfelbaum zu pflanzen, auch wenn morgen die Welt unterginge.

Es könnte jener Baum sein, der die Welt eben nicht untergehen lässt. 

Jens F. Meyer
j.meyer@dewezet.de