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Die schönste aller sinnlosen Taten

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Wer gegen Moos und Kraut in Fugen ohne Chemie vorgeht, kann darin sein Glück finden. FOTO: EY

Von allen sinnlosen Dingen, die man im Garten tun kann, ist das Fugenkratzen die allerschönste Beschäftigung. Moos schafft es immer, sich dort, wo sich auch noch Unkraut, bisweilen Gras und manchmal Klatschmohn aus schmaler Ritze emporstehlen, zu Hause zu fühlen. Die Art des Pflasters spielt keine Rolle: Ob aus den Zwischenwelten des Schaumburger Gerumpelten, aus den Ritzen akkurat verlegten Verbunds oder ungleichen Spalten eines in Pi-mal-Daumen-Art gefassten Natursteins – Moos und Kraut wachsen, müssen weichen, weil ich es will, und wachsen von Neuem heran, vollkommen unbeeindruckt von dem, was ich da tue. Sie kehren zurück, was die stupide Tätigkeit mit Fugenkratzer, Messer und Unkrautstecher noch sinnloser erscheinen lässt.                    

Das Gefühl, ein bisschen für Ordnung zu sorgen

Ich darf annehmen, nicht der einzige auf dieser Giftspritzenwelt zu sein, der den Grabenkampf ohne Chemikalie führt. Das habe ich bereits als Kind auf dem großen Hof meines Elternhauses getan. Das Gefühl, ein bisschen für Ordnung zu sorgen, mag ich; von peniblem Umhergeistern auf allen vieren soll dabei gar nicht die Rede sein. Ich verlange nichts Außergewöhnliches von mir und der Fläche, nur ein bisschen Glanz und wenig Gloria. Gemeine Schafgarbe (Achillea millefolium), Junge Bärenschote (Astragalus glycyphyllos), Kanadisches Berufkraut (Conyza canadensis) – was auch immer sich dort hineingeschummelt hat, wo nur Fugensplitt sein sollte: Es muss weg! Nach einem kräftigen Regen lässt sich diese Arbeit am einfachsten erledigen; auch tiefer Wurzelnde wie Löwenzahn lassen sich dann gut entfernen.

Das „Schrappschrapp“ des Stahls, der an den Steinen schabt, hört sich an, als wenn Elstern im Nest hoch oben in den dunklen Tannen gerade ihre Jungen vor Krähen verteidigen. Ich schalte währenddessen völlig ab, ja, ich vermute sogar, dass das schabende Geräusch mir wie Musik vorkommt, denn im Laufe der Zeit ergibt sich eine Rhythmik, die von wunderlicher Wirkung ist, mich wie in Trance zu setzen scheint. Auf dem Pflanztisch in der Nähe steht ein Glas Weißwein, für das ich bereit bin, aus diesem Taumel aus der Hocke in die stabile Senkrechte aufzutauchen. Der Riesling erfrischt meine Seele, trocken ausgebaut, auf Schiefer gewachsen. Ich knie wieder nieder, ein bisschen vor dem goldenen Wein, vor allem aber, um mich erneut dem Netz der Spalten hinzugeben.

Vollkommen sinnlos, was ich hier mache. Ich fühle mich wie ein König.

Wer kann schon von sich behaupten, seine Zeit damit zu verschwenden, etwas zu tun, was absolut nicht notwendig ist? Vom Kraut in den Fugen, von Moos zwischen Steinen geht keine Gefahr aus. Und ich weiß, dass der Lohn meiner Mühe, die Freude über den sauberen Weg, der durch den Garten an der Terrasse vorbei bis zum Gewächshaus und den Regentonnen führt, nur von kurzer Dauer ist. Drei, vier Wochen, dann wächst erneut aus schmalem Spalt, was ich eben noch gezupft habe. Ich könnte mich ärgern, aber dazu ist der Riesling zu gut, und außerdem wächst gewissermaßen ja ein neues Glücklichsein heran, weil ich die sinnlose Arbeit gerne ein weiteres Mal erledige. Was sie genau genommen richtig sinnvoll erscheinen lässt.

Schluck noch vom Riesling. Das Glas ist leer, aber die Flasche nicht. Schnell mal rein ins Haus, zum Kühlschrank, und nachgeschenkt. Kann weitergehen.

Vollkommen sinnlos, was ich hier mache. Ich fühle mich wie ein König.
     

Die schönste aller sinnlosen Taten-2

Jens F. Meyer
j.meyer@dewezet.de