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Garten & Terrasse

Des Sammlers schöne Enttäuschung

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Die Sache mit der Vermehrung aus dem Samen der reinweißen Klatschmohn-Sorte ’Cabrita‘ hat nicht so richtig hingehauen ... FOTO: EY

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Beet-Geflüster

Das Sammeln von Samen ist eine Passion, die Menschen teilen und deshalb verbindet. Das Problem ist, dass sortenreine Vermehrung über die Körnchen nur eingeschränkt funktioniert. Die Stockrose vermag dafür ein immer wieder allzu lehrreiches Beispiel zu sein. Das Abringen des Saatguts von Akelei-Züchtungen und bestimmten Klatschmohn-Sorten ist mit ebensolch großer Enttäuschung verbunden. Viele weitere (Rein-)Fälle müssten eigentlich längst dazu geführt haben, es endlich sein zu lassen mit der Körnchenklau(b)erei.

Denn früher oder manchmal auch später setzt sich sowieso die Urform der Pflanze durch, gewinnen die Muttergene Oberhand, drängen die kapitalen Vorteile mancher bildschönen Züchtung ganz weit in den Hintergrund. Biene. Blüte. Mendelsche Gesetze. Die Vermischung löscht jede Hoffnung auf sortenreine Vervielfältigung via Samen. Die gefüllte Hybride ’Nora Barlow’ kann daraus nichts werden, nichts Halbes und nichts Ganzes, nicht Fisch, nicht Fleisch, es ist kein Mensch, es ist kein Tier, es ist ’ne Rolle Klopapier. Nach und nach ist ihre Blüte nur noch zu einem Drittel gefüllt und der Wildform Aquilegia vulgaris mit einfachen, bläulichen Spornblüten schon sehr viel näher als ihrem Züchtungsbild.

Die Tücken der generativen Vermehrung

             

Es hilft nichts: Um sicherzustellen, dass eine bestimmte Sorte hundertprozentig vervielfältigt wird, geht die vegetative (Teilung des Wurzelstocks) über die generative Vermehrung. Dennoch: Man sammelt, man sammelt wie verrückt! Ist doch schön. Manchmal hat man Glück und die Reinheit ist in relativ hohem, bisweilen vollständigem Maß erhalten. Es gibt in der Tat Stauden, bei denen die generative Vermehrung ganz passabel funktioniert. Dazu zählt zum Beispiel die Ährige Prachtscharte (Liatris spicata) und manche Glockenblumenart (Campanula).

Ist der Sammeltrieb erst einmal entfacht, spielen Erfolg und Misserfolg ohnehin keine entscheidende Rolle mehr. Ich zücke also eine dieser kupferfarbenen Döschen, in denen früher Crème oder Haargel enthalten war und das ich sehr penibel gereinigt hatte, und schüttele die Früchte aus ihren Kapseln. Unmengen von Mohn, mancher Rittersporn, Akeleien, Berg-Tabak, Große Flockenblume … – Myriarden Samenkörnchen schlummern in den dunklen Winterlagern, und wenn es erst einmal Frühling geworden ist, regnen sie aus der Hand des Blumenfreundes in Beete und Rabatten oder werden auch sehr zielgerichtet ausgebracht, wenn sie nicht schon früher im Jahr auf der frostsicheren Fensterbank im Wohnzimmer unter Glas vorkultiviert werden.

Einjährige und Stauden – sie bereiten manche Überraschung dann, wenn sich in fernen Wochen die Knospen langsam entfalten, wenn sie aufbrechen und sie ihr Innerstes nach außen kehren. Es ist ein bisschen wie am grünen Tisch im Casino: Man weiß nie, ob es funktioniert. Aus den Körnchen der weiß blühenden Klatschmohn-Hybride ’Cabrita’ ist jedenfalls kein reinweißer Blütenstrauß mehr entstanden, sondern einer mit deutlichem Roséanteil und gefleckt bis gestreift. Im Unterschied zum Casino verliert der Gärtner aber nie seinen Einsatz, sondern gewinnt etwas Neues. Insofern hält die Enttäuschung nicht lange an. Sieht nämlich spitze aus!

Je mehr Vielfalt ringsum, desto kleiner der Erfolg …

Zudem kennt man das Risiko, und je größer die Blütenvielfalt auf begrenztem Raum ist, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, daraus einen Erfolg zu erzielen. Hätte ’Cabrita’ nun also alleiniger Klatschmohn in diesem Garten sein dürfen, wäre die Wahrscheinlichkeit einer sortenreinen generativen Reproduktion viel aussichtsreicher. Aber wo rundherum roter, klassischer, Klatschmohn die Nachbarfläche überstreuselt, ist der massenhaften Vermischung durch Bienen, Wind und Wasser Tür und Tor geöffnet. Das ist kein Grund zum Ärgern, sondern befeuert die Freude des Gärtners, weiter zu sammeln. Denn die Mischformen sehen manchmal noch viel schöner aus als das Original.

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Jens F. Meyer
j.meyer@dewezet.de